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Ende eines Flughafens Teil 2

Ende eines Flughafens Teil 2

Abschied vom TXL

Jedes Mal, wenn ich von der Autobahn auf den Kurt-Schumacher-Platz fuhr, sah ich sie. Die Fotografen, die auf einer Mauer den besten Blick auf die landenden Flugzeuge hatten. „Ich will da auch mal stehen“, hatte ich oft gedacht. Nun ist der Flughafen Tegel, der vor kurzem noch unter der viel zu großen Last der Flugreisenden schnaufte, ein fast schon stiller Ort. Ab Sonntag wird er Geschichte sein. Dann wird am Nachmittag die letzte Air-France-Maschine von Tegel abheben.

 Ich liebte diesen Flughafen, obwohl ich nicht gern in ein Flugzeug steige. Ich weiß, das klingt verrückt. Ich mochte es, wie die Flieger an unserer Wohnung in Pankow Niederschönhausen geschmeidig vorbeiglitten. Ich stellte sogar den großen Spiegel so parallel zum Fenster, dass es aussah, als würden sie direkt durch das Zimmer fliegen. Die Geräusche erzählten mir etwas von der Welt und der Lust sie zu erkunden, von Aufregung und Sehnsucht, mit denen Reisen verbunden sind.

Vor einigen Jahren hatte ich eine kurze Liebesgeschichte mit einem Mann, der auf dem Flughafen arbeitet. Damals schrieb er mir manchmal, dass die letzte Maschine Verspätung hat. „Da ist sie. Kannst gleich gehen.“, schrieb ich. Ich hatte mehr Romantik hineingesteckt, als er dabei empfand. Für ihn war es Arbeit, die Flieger keine Botschaftsübermittler. Ich habe mir diese Geschichte aufbewahrt und denke mit Blick auf die Flugzeuge auch heute noch daran.

 „Wenn nicht jetzt, wann dann“, denke ich und steige in mein Auto. Ich suche die Straße mit der besten Sicht auf den Flughafen. Sie geht vom Kurt-Schumacher-Platz ab und ist inmitten einer Kleingartenanlage. Da ist es. Meteorstraße. Eine Anhöhe. Ein Mann mit Kind und zwei Frauen, die auf ihrem Telefon nach den Ankünften gucken, stehen dort. Nur die Autobahn ist zwischen uns und dem Flughafen.

„Müsste eigentlich gleich die aus Amsterdam kommen“, sagt die eine. Ich sichere mir den Platz auf einem aus dem Boden ragenden Abwasserrohr – eine besonders gute Position. Die Kameras sind bereit. Zwei Flugzeuge heben ab.  Da kommt die Maschine aus Amsterdam, gleitet über uns hinweg. Hilfe, ich kann mich nicht entscheiden, welche Kamera ich nehme. Warum nicht Polaroid? Ich liebe das Geräusch. Schönster Moment. Die Autos rauschen vorbei und ich steh da und freu mich, dass ich hier bin, wenn auch spät, aber nicht zu spät.

 „Wann kommt denn nun die nächste?“, fragt ein älterer Mann, der sich etwa zwei Meter von mir entfernt, platziert hat. Er lehnt die Arme auf die Mauer. Dreht den Kopf. „Sieht man dit nicht uff`m Telefon?“ „Ich guck gleich mal“, sage ich. „Da startet ene, die leer ist – keene Menschen, keene Fracht. Sie braucht keene lange Bahn, hebt schneller ab.“ „Sie kennen sich ja aus.“ „Ick wohne hier seit über 30 Jahren. Die Flugzeuge flogen täglich direkt über menem Kopf.“ „Hat Sie das gestört?“ „Nee, überhaupt nicht. Ick mag dit. Sonst wär ick doch längst nicht mehr hier.“

„Fühlt sich irgendwie traurig an“, sage ich, als ein Mann mittleren Alters an uns vorbeiläuft, wie ein Kontrolleur kurz auf den Flughafen blickt und im Verschwinden meint: „Endlich hat das ein Ende. Da ist nichts traurig. Schlimm, dass es jetzt erst passiert“ „Meckerkopp“, raunt mein Gegenüber.

„Ick frag mich, wat jetzt mit den janzen Hotels hier passiert. Da kommt doch keener mehr.  Da drüben wollen se ja die Landebahn lassen für Skater und so.“ „Woher wissen Sie das alles?“ „Steht allet in`ner Zeitung. In der BZ jab´s ´n richtigen Plan.“ „Sind Sie oft geflogen?“ „Bestimmt 30 Mal. Ick war jedet Jahr uff Mallorca, mit den Kumpels zum Rennradfahren. Dit kann man da richtig jut. Da sind Berge, das glaubst de nicht.“ „Fahren Sie jetzt immer noch?“ „Nee.“ Er reibt die Finger aneinander. „Hat ja och wat hiermit zu tun. Kostet ja einiget.“

 Eine Maschine kommt. Jetzt habe ich es fast verpasst. Er redet weiter, während ich mit der Kamera die letzten Züge des Landeanflugs festhalte. „Gestern hätteste mal hier sein müssen. Da war dit Fernsehen. Die haben jefilmt.“ „Na, heute ist auch schön. Sind Sie immer hier?“ „Ja, mach so meine Runde. Hab ja Zeit. Da wird nächste Woche wat fehlen. Dit weeß ick jetzt schon.“ „Mist.“ „Ick hab 50 Jahre und vier Monate jearbeitet. Wirklich, ohne Unterbrechung. Ick war nicht mal krank. 35 davon in der Sportabteilung von Karstadt am Herrmannplatz.“ „Das ist lange.“

Ein älterer Mann kommt und hält die Kamera in Richtung Flughafen. „Verdammter Mist“, ärgert er sich. „Akku ist alle. Da komm ich extra her und dann kann ich kein Bild machen.“ „Komm doch morgen wieder. Ein bisschen Zeit ist ja noch“, sagt mein Gegenüber. „Mach ich. Viel Spaß noch.“ Eine Frau, über deren Schulter eine Aldi-Tasche hängt, guckt mit starrem Blick auf die andere Seite. Sie regt sich nicht. Der Arm klemmt die Tasche ein. Was denkt sie?

Mein Gegenüber nimmt den Faden wieder auf. „Fünf Jahre und ein paar Tage bin ick jetzt in Rente.“ „Und, wie geht’s Ihnen damit?“ „Nich jut. Ick komm noch nicht klar, hab jern jearbeitet. Dit Schlimmste ist, dass der Tag so lang ist. Der dauert ewig. Da hab ick oft schon allet jemacht und dann ist immer noch wat davon übrig. Ick steh ja trotzdem um halb sieben uff, dit jeht nicht mehr raus. Dann les ick Zeitung, lof hier rum, treff mal jemanden und die Zeit jeht und jeht nicht vorbei. Hat einfach zu viele Stunden der Tag. Man kann sich auch nicht ewig vergnügen. So viele Vergnügungen jibt’s ja jar nicht.“

„Fahren sie nicht mehr Rad?“ „Doch manchmal. Ick hab drei Rennräder, ein Damenrad och. Von meiner Ex. Sie ist einmal mitjekommen nach Mallorca. War aber nüscht für sie dit Fahren, wollte lieber am Strand liegen.“ „Waren sie mal wieder bei Karstadt?“ „Ja, da fahr ick ab und zu hin und ess wat mit den alten Kollegen oben im Restaurant. Dit sind ja die Kumpels, mit denen ick auf Mallorca war.“ „Kommt nichts mehr“, sage ich mit Blick in den Himmel. Die Frau mit der Aldi-Tasche ist verschwunden. Ich gucke auf das Telefon. Die Flüge aus der Schweiz und Paris sind gestrichen.

Eine Nachricht von dem Mann, mit dem ich vor Jahren eine Geschichte hatte. „Es wird schwierig mit der Besucherterrasse.“ „Nicht so schlimm“, antworte ich. „Ick jeh dann mal.“, sagt mein Gegenüber. „Ich auch.“

„Bist du arbeiten? Soll ich dir zuwinken?“, schreibe ich an meine Geschichte vom Flughafen.

„Ja, wink mal!“

„Ich warte noch auf das nächste Flugzeug, aber es kommt nicht.“

„Wie kann ich dich denn sehen?“

„Mit dem Fernglas. Noch bin ich an der Autobahn.“

„Auf dem Zubringer zum Norden? Hinter dem Kurt-Schumacher-Platz?“

„Ja.“

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© 2020 Katja Schrader

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