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Wenn ich könnte, würde ich …

Wenn ich könnte, würde ich …

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Letzte Woche stand ich im kleinen Laden um die Ecke und griff nach einem Lottoschein. 6 aus 49. Ein Mann übergab der Verkäuferin gerade seinen Schein. „Du kriegst 49,50 Euro. Na, das läuft doch bei dir“, sagte sie zu ihm. „Kannste gleich wieder für den nächsten Schein abziehen. Viele Präsente jibt´s dafür ja nicht.“ Ich will keine 49,50 Euro.

Ich brauche mehr, für Weihnachten, für Geschenke, für ein bisschen mehr Freude und Leichtigkeit am Jahresende. Ich machte meine Kreuze: 4, 9, 17, 23, 38, 41. Zusatzzahl 4. „Wenn ich bis zur Mittwochsziehung noch zu einem größeren Gewinn komme, sollte man mit mir verwandt, befreundet oder nur bekannt sein. Denn dann, ja dann werde ich für alle so viele Geschenke kaufen, dass ich sie kaum tragen kann“, träumte ich an diesem trüben Dezembertag zwischen Zeitschriften und Zigarettenschachteln.

Ich weiß, es muss alles nicht sein und es kommt auf was anderes an – Familie, Besinnlichkeit. Aber so sehr ich es auch versuchte, Besinnlichkeit stellte sich in den letzten Wochen nicht ein. Die Tage galoppierten unaufhaltsam in Richtung Weihnachten, dem Fest der Liebe, der Probleme, der Geldnöte.

Schrottwichteln als Alternative

Ich lüge nicht, wenn ich sage, dass mich Geld nie besonders interessiert hat. Ich lebe allein mit meinem Kind. Ich hatte meistens nicht viel. Es reicht mir. Was soll´s? Aber einmal – nur ein einziges Mal würde ich doch gern aus dem Vollen schöpfen, Geschenke kaufen, die wirklich Freude machen und das für jeden, der mir einfällt, einfach zuschlagen und mit riesigen Taschen nach Hause kommen, alles auf dem Wohnzimmerboden ausbreiten und dann genüsslich einpacken, nicht in das günstigste Papier, das vom Muster gerade noch geht. Es käme alles in Kisten und Schatullen, die man langsam mit klopfendem Herz öffnen kann und da läge dann etwas, das keiner erwartet hätte, schon gar nicht von mir.                                                                                                                     

Aber kommen wir mal auf den Boden der Tatsachen zurück. Mein Konto hat sich kaum von den Reisen des Sommers erholt, auch wenn sie nur bis zur Ostsee reichten, da kommt das Fest des Schenkens und mit ihm eine Menge Qualen. Denn entweder hat man sich in der Familie zu der Abmachung durchgerungen, dass sich Erwachsene untereinander nichts schenken, oder man plagt sich eben, leidet noch bis weit in das nächste Jahr hinein unter den Konsequenzen der Schenkerei, die aufgrund der mangelnden Möglichkeiten sowieso nicht das Nonplusultra ist. In der Familie sagten wir mal: „Keine Geschenke, nur für die Kinder“. Stattdessen machten wir Schrottwichteln. Inzwischen machen wir beides.          

„Dein Cousin hatte früher immer für jeden eine Tafel Schokolade. Alle freuten sich“, erzählte mir meine Mutter. „Mach dir keinen Stress!“ Es ist aber Stress. Und klar müsste ich nicht, aber ich würde eben gerne. und ich will auch nicht die sein, die die Tafel Schokolade aus der Tasche zieht. Ich fühle mich jedes Jahr gehetzt, gedrängt, bedrängt von meinen eigenen Ansprüchen ans Schenken.

Das Verhältnis zum Beschenkten wird abgewogen

An einem der Adventstage bin ich durch ein Shoppingcenter gelaufen. In einem Geschäft lief ein schönes Lied und ich spazierte so lange durch die Herrenabteilung, bis es zu Ende war. Das Einzige, was ich hier gern gekauft hätte, war ein Herrenhut, ein brauner. Aber ich kenne keinen, der sich darüber freuen würde. Ich müsste also erst die Person finden, die solche Hüte trägt, um ihr dann nächstes Jahr die Freude machen zu können.

Ich sah zu, wie sich ein älteres Paar in einem Geschäft beriet. Die Frau hielt in jeder Hand eine Pralinenschachtel, hob wie auf einer Waage mal die eine, mal die andere an. „Die kostet aber 15 Euro“, sagte sie. „Naja, ist schon eine Menge“, meinte er und sah angestrengt auf die Verpackung. Beide Blicke fielen nun zeitgleich auf die andere Schachtel. „Die kostet nur 9 Euro. Denk mal dran, was sie dir letztes Jahr geschenkt haben. Das war nun auch nicht gerade …“ Das Verhältnis zum Beschenkten wurde hier abgewogen, das des Gebens und Nehmens.

Vor H&M stand ein junges Mädchen. Sie schluchzte in ihr Telefon: „Aber ich will diesen BH nicht kaufen. Das kannst du doch nicht von mir verlangen, dass ich den kaufe. Der quetscht die Brust so richtig hoch.“ Sie bemerkte niemanden mehr. Die Tränen liefen über ihr Gesicht, während sie zuhörte, was der am Telefon sagte. „Das ist doch kein Weihnachtsgeschenk, wenn ich mich dabei nicht gut fühle. Ich verlange doch auch nichts von dir, was du nicht machen willst. Dieser BH passt nicht zu mir und er tut mir richtig weh. Ich muss doch nicht immer beweisen, dass ich dich liebe.“ Das Mädchen hat mich berührt. Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen und ihr geraten, niemals wieder ein Wort mit ihm zu reden.

„Man muss das Ganze mit dem Schenken doch mal durchbrechen“, sagte meine Cousine. „Vielleicht sollte man einführen, dass man nur denen was schenkt, mit denen man in dem Jahr besonders viel zu tun hatte“, überlegte sie. „Ja, aber so müsste man zugeben, dass man an manche fast gar nicht gedacht hat und dann würde das vielleicht nach sich ziehen, dass man sich zu Weihnachten, wo sowieso alles auf dünnerem Eis steht, damit beschäftigen muss, warum der Kontakt zu den Nichtbeschenkten so reduziert ist.“ Insgesamt scheint es uns leichter zu sein, Menschen zu beschenken, die man noch nicht lange kennt, stellten wir fest.

Was wäre dein größter Wunsch?

Ich habe aus Interesse und wegen der Möglichkeit eines Lotto-Gewinns mal nachgefragt: „Was wäre dein größter Wunsch?“ Unser Freund sagte erst: „Ach, naja. Was soll ich mir schon wünschen.“ Dann fiel ihm die anstehende Zahnbehandlung ein. „Die kostet ein Vermögen. Ist dir zu unromantisch? Naja, so ist es aber.” “Sonst nichts?” “Meine Wünsche sind eben so. Was soll ich sagen, ein großer Drucker, eine kleine Reise, in einem Bett liegen am Meer.” “Ein guter Wunsch. Keine Sorge, ich kann ihn dir schon nicht erfüllen.” Meine Tante träumt von einer Apple Watch. “Ich sag das aber nur, weil wir das jetzt so überlegen. Ich hätte schon gerne eine, kann sie mir aber nicht leisten.”

Meine Freundin sehnt sich nach einem neuen Mann. In diesem Jahr meldete sie sich bei einer Single-App an, benutzte aber nur die kostenlose Version. Es gab erste schriftliche Kontakte, dann tanzte sie an einem Sommerabend in einem griechischen Lokal ausgelassen Sirtaki und der Fuß brach. Und so hatte sie keinen Sommer mehr und keine Lust auf die Männer. “Im nächsten Jahr will ich mich mit fünf Männern treffen”, erzählte sie mir.  Ich könnte ihr eine Mitgliedschaft bei einer exklusiven Dating-App schenken und somit vielleicht das große Liebesglück. Das würde mir gefallen. „Was wäre, wenn ich Geld wie Heu hätte, was könnte ich dir schenken?“, fragte ich meine Mutter. „Ich habe alles, ich brauche nichts”, sagte sie. Zu groß ist ihre Angst, ich könnte ihr den Wunsch erfüllen wollen und mich dafür verschulden.

Den meisten ist es unangenehm, Wünsche auszusprechen. Man will sich bescheiden geben. Ich stelle mir selbst die Frage. Da wären eine Kiste voller Polaroidfilme, eine Reise nach Venedig, ein Abo der italienischen Vogue, ein aufregendes Kleid … Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr fällt mir ein. Mit einem Gewinn könnte ich mir alles auch selbst schenken.

Wie habe ich nun aber das Problem mit dem Schenken gelöst? Mit wenig Möglichkeiten ist wie immer die Fantasie gefragt. Und an dieser Stelle bin ich klar im Vorteil. Fantasie habe ich in großen Mengen. Die reicht jedenfalls immer für mein Kind. Der hat ein gutes Leben mit einer, die sich unentwegt etwas einfallen lässt. Für ihn habe ich viele Dinge besorgt, von denen ich weiß, dass sie ihm Freude machen. Und Pfirsiche hat er sich gewünscht. Die schaukeln jetzt am Weihnachtsbaum.

See Also

Für die Familie verschenke ich Gutscheine für das erste Mal Baden an der geliebten Sommerseebadestelle. „Kann ich mehrere Gutscheine kaufen?“, fragte ich die Frau vom Sommerbad am Telefon. „Zehn Mal jeweils?“, wollte sie wissen. „Nein, einmal nur.“ „Wie?“ „Ein Gutschein für einmal Baden. Dann kommen die Beschenkten auf den Geschmack und Sie sehen Sie immer wieder.“ Sie hat es gemacht. Ich verschenke also das erste Sommergefühl.

 Aus einer großen Pilea-Taler-Pflanze habe ich viele kleine gezogen. Die sollen zu mehr Geld verhelfen und das wünsche ich schließlich jedem.

Einer vergangenen romantischen Geschichte stelle ich italienische Brause vor die Tür. Er ist mir vor Jahren mal spontan nach Italien gefolgt. Wir verbrachten ein paar gute Tage im ligurischen Rapallo, dann brachte er mich nach Verona zum Zug. Es war das Ende unserer Geschichte. Aber an die Zeit denken wir beide gern.

Und ich habe eine VHS-Kassette mit dem französischen Film „So sind die Tage und der Mond“ an einen geschickt, den ich nur von Instagram kenne. Mich berührt, was er macht. Er hat noch einen Röhrenfernseher mit integriertem Videorekorder. Das Geschenk macht mir am meisten Spaß.

Ideen gab es noch mehr: ein Gutschein für einen besonderen Spaziergang, eine Wegwerfkamera für gemeinsame Erlebnisse, ein kleines Discolicht für aufregende Momente im Alltag, ein Rendezvous in einem Museum. Wenn ich in Ruhe am Schreibtisch sitze, fällt mir viel ein. Beim Einkaufen kommt keine einzige Idee.

Die schönste Familie

Gestern Abend fuhr ich mit meinem Jungen zu einem Schulkonzert. Er fühlte sich plötzlich nicht gut. „Geht´s?“ „Naja.“ Als es losging, hockten wir auf der Toilette. „Ich zeige dir mal, was gut hilft“, sagte ich. Wir ließen das kalte Wasser über die kleinen Arme laufen. „Wenn es dir nicht gutgeht, dann gehen wir eben.“ Wir beide da auf dem Schulklo  – das war so ein Weihnachtsmoment, so einer, bei dem man aufhört zu rennen, man still stehen bleibt, wo man plötzlich wieder weiß, worauf es ankommt. An wie vielen solcher Momente bin ich in letzter Zeit schon vorbeigerannt, ohne sie zu bemerken? Und wofür? „Ist eigentlich ganz schön, wie wir hier zusammen sind“, sagte der Junge. Er war dankbar, dass ich nicht hetzte, keinen Druck machte. Vor der Tür war das Konzert und wir in dem kleinen Raum, ganz still beieinander, hielten die Zeit an, wo es zu viel wurde. „Schaffst du ein halbes Konzert?“ „Ja.“ In der Pause sind wir gegangen. Wir liefen still die Straße zum Auto. Da schob sich seine Hand in meine. „Wir sind die schönste Familie, die es geben kann“, dachte ich. Das ist wichtiger als jedes Geschenk – ich weiß es ja.

Aber sollte ich dennoch im Lotto gewinnen, dann werden alle was erleben. Und im Jahr danach gibt es wirklich mal für jeden eine Tafel Schokolade.

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© 2020 Katja Schrader

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